Der junge Einstein - von Karl zu Carl (1885-1906)

1885-1904

Am 26. April 1885 wurde Karl Einstein in Neuwied (Rheinland-Pfalz) als zweites (und letztes Kind) Daniel Einsteins und seiner Ehefrau Sophie, geb. Lichtenstein, geboren. Die lateinische Schreibung "Carl" (ab 1907) geht auf ihn selbst zurück. Seine Schwester, Hedwig Judith, war ein Jahr älter. Ein drittes Kind der Familie wird 1889 tot geboren. Die Familie wohnt in der Friedrichstr. 41 (Kulturamt Neuwied). Der Vater wurde am 25. September 1847 in Fellheim (Landkreis Unterallgäu, Bayern) geboren, und zwar als fünftes Kind des Schuhmachers Isaac Einstein und seiner Frau Jette, geb. Einstein. Die Mutter (geb. 28. September 1860) war Tochter des Kaufmanns Aaron Lichtenstein und seiner Ehefrau Henriette, geb. Salomon. Weder in väterlicher noch in mütterlicher Linie ist irgendeine Bildungstradition erkennbar, auch ist weder mit dem Physiker Albert Einstein noch mit dem Musikwissenschaftler Alfred Einstein eine verwandtschaftliche Beziehung nachzuweisen.

 

Angesichts des engagierten Pädagogen und vorbildlichen Familienoberhaupts, der sein Vater war, muss der jüdische bzw. religiöse Einfluss auf den jungen Einstein außerordentlich groß gewesen sein. Schon sein frühes literarisches Schaffen zeugt davon (Bebuquin u. a.). In seiner Kleinen Autobiographie 1930 wird dieser Einfluss allerdings nicht erwähnt; erst die späten (unveröffentlichten) BEB II-Fragmente thematisieren Einsteins jüdische Kindheit, deren "Gesetzen" er jedoch zu entfliehen sucht wie einer bürgerlichen Bestimmung überhaupt.

Die Familie lebt in Karlsruhe in der Stephanienstr. 9, einer gehobenen Wohnlage, nahe Kunsthalle und Akademie. Detaillierten Angaben der Kleinen Autobiographie zufolge - an die sich ein Dreijähriger nicht erinnern kann - muss er sich später aber auch mehrfach bei Verwandten in Neuwied aufgehalten haben.

1894 tritt Karl ins Großherzoglichen Gymnasium (heute: Bismarckgymnasium) ein, ein für damalige Verhältnisse fortschrittliches humanistisches Gymnasium. Karl erhielt Religionsunterricht jüdischen Glaubens, gegen den er revoltiert, Philosophieunterricht, der ihn prägt (Platos Höhlengleichnis). In den BEB II-Fragmenten wird ein Konflikt mit dem Deutschlehrer Dr. Edmund von Sallwürk beschworen. Auch in Latein scheint Karl nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Er entzieht sich im Juli 1903 der Abitursprüfung bzw. wird nicht zugelassen, weil er zusammen mit einem Klassenkameraden, Arensmeyer, der offenbar wenig später Selbstmord beging, zu einer "Vergnügungstour" nach Straßburg aufgebrochen war. Alkohol scheint schon beim jungen Einstein eine Rolle gespielt zu haben.

Die BEB II-Fragmente dokumentieren detaillierte Kenntnisse aus Karlsruhe und Umgebung, z. T. aus der Sicht des späteren Ethnologen symbolisch überhöht (Kiefer 1994).

An einem "Landgymnasium", d. h. dem Großherzoglich Badischen Gymnasium (heute: Schönborn-Gymnasium) in Bruchsal (nahe Karlsruhe), wiederholt Karl 1903/04 die Abschlussklasse und besteht am 7. Juli 1904 das Abitur. Die Lehrkräfte sind in der Kleinen Autobiographie karikiert, aber identifizierbar dargestellt (Heißerer 1992 a). Als Berufswunsch gibt Karl "Philosoph" an.

Dem ungeachtet bevorzugt er als Lektüre Karl May. Er kennt populäre Lesestoffe, liest Detektivromane, aber auch - nach eigenen Angaben - Wedekind und Rimbaud. (Die Kleine Autobiographie verwischt nicht nur die Grenzen zwischen Neuwied und Karlsruhe, sondern datiert auch vieles der Selbststilisierung wegen zu früh.) Ohne Zweifel kennt Karl Bibel und Talmud.

Wohl nur kurze Zeit nach dem Abitur macht er eine Lehre im Bankhaus Veit L. Homburger in Karlsruhe - wie Daniel-Henry Kahnweiler, dem später so bedeutungsvollen Freund, ohne jedoch mit ihm bekannt zu werden (EKC). Karl "flieht" nach einem Missgeschick mit einem Scheck nach Berlin.

1904-1907

Im Wintersemester 1904/05 immatrikuliert er sich an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und studierte dann - heute würde man sagen: fächerübergreifend und mit Unterbrechungen - bis Sommersemester 1908 Philosophie, Kunstgeschichte, Geschichte und Altphilologie. Einen akademischen Grad hat er nach derzeitiger Kenntnis nicht erworben - was er später (gegenüber Tony Simon-Wolfskehl) bedauert. Der Doktortitel, der ihm hin und wieder, etwa in der Korrespondenz der 20er Jahre, "verliehen" wird, bezeichnet ihn wohl allgemein als "Gelehrten".
 

Mit Sicherheit (Penkert) hat er im Wintersemester 1905/06 Georg Simmels Vorlesung "Ethik und Prinzipien der philosophischen Weltanschauung" und Alois Riehls "Einführung in die Philosophie" gehört. Im darauffolgenden Sommersemester besuchte er auch Riehls Kolleg über Schopenhauer und Nietzsche und die Übung "Erklärung von Kants ‚Prolegomena'". Es finden sich Hinweise zu Veranstaltungen von Otto Hintze, Heinrich Wölfflin, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf und dem Stefan George nahestehenden Kurt Breysig. Es wird kein Zufall sein, dass sich das Doppel-Ich-Motiv des Bebuquin bei Max Dessoir, ebenfalls Berlin, behandelt findet. Wölfflins Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen verdankt Einstein zeitlebens viel. Mit "dem dilettierenden [...] Philosophen, dem Philologen und dem Historiker" (Die Verkündigung, 1911) - Simmel, Wilamowitz, Breysig? - setzt er sich eher kritisch auseinander. Da Einsteins Berliner Nachlass größtenteils unerschlossen und undatiert ist, können seine vielfältigen Interessen (auch mittelalterliche Literatur, die Breysig vermittelte) zeitlich kaum zugeordnet werden (Braun; vgl. BA 4).

Aus seinen Veröffentlichung ab 1907 kann aber rückgeschlossen werden, dass die Studentenzeit geistig ungemein anregend war - was seinen Niederschlag in Kurt Hillers Bemerkung zu Bebuquins Erkenntnisprosa findet: "Mißgünstige könnten Herrn Einstein als wildgewordenen Privatdozenten diagnostizieren..."

Karl wird aber erst einmal Mitglied der Freien Studentenschaft ("Finkenschaft") und beteiligt sich an der Organisation von Liederabenden, zu denen er am 2. November 1904 den Komponisten Hans Pfitzner (brieflich) einlädt; auch andere spätromantische Komponisten, aber auch Gustav Mahler erregen, sein Interesse. Wann er an der Universität Ludwig Rubiner kennen lernt, mit dem er 1912 eine Reise nach Paris unternimmt, und wann und wo er in Verbindung mit der "Franz-Blei-Clique" tritt, ist nicht bekannt; Blei - der ihn "entdeckt" - lebt bis 1912 in München (Heißerer 1992 a). Wie er den "literarisch-jüdischen Neokatholizismus" (so Theodor Haecker über Blei) assimiliert, ist ungeklärt. Diese Wende kann zumindest als (modischer) Emanzipationsversuch gegenüber dem Elternhaus gedeutet werden. Die Kleine Autobiographie berichtet von Karls Besuchen im Café Zentral. Er wohnt in der Borsigstraße und dann in der Kirschenallee 12.

Frühe Publikationsversuche sind erfolglos; so wird z. B. eine "Waldschmidt-Arbeit" in einem Brief von unbekannt am 23. Oktober 1903 zurückgewiesen (veröffentlicht 1910), desgleichen die ersten Bebuquin-Kapitel: "jeder Verleger schmiss mich raus" (an Tony Simon-Wolfskehl). Wie u. a. der Essay über Schmitt-Reute (1910), den Karlsruher Maler und Lehrer Waldschmidts, bezeugt, bleibt er anfänglich auch in Berlin noch der süddeutschen Kunstszene verbunden. Thea Sternheim zufolge sprach er mit badensischem Akzent (ironisch: "Kunscht"). Eigenen Angaben zufolge litt der verkannte Jungautor an einer "Hungerkrankheit" (an Tony Simon-Wolfskehl).

Bebuquin und Berlin (1907-1914)

Nach seinem Studium arbeitete Einstein als Feuilletonist und Kunstkritiker für deutsche und französische Zeitschriften, gewann an Einfluss und öffentlicher Wirkung, auch durch Lese-Abende und Auftritte mit der Nachwuchs-Prominenz (Benn, Benjamin, van Hoddis u.a.). Sein früher literarischer Ruhm beruht auf dem "Geniestreich", einen frechen Mini-Roman als Farce anzulegen, die seinerzeit Populäres im "epistemologischen Riss" (Sabel 2002) parodistisch aufgriff und doch punktgenau ins Explosiv-Apokalyptische der Vorkriegszeit traf. 1912: "Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders" (RUB, hg. Kleinschmidt 1985) hat einen melancholischen Touch und einen coolen Helden, der noch heute anrührend wirkt. Rückblickend wird aus "produktiven Missverständnissen" (Krämer 1991) nach fast 100 Jahren sein einzigartiger Stellenwert an der kreativen Schnittstelle neuer und neuester Avantgardismen von Literatur und Kunst (Expressionismus, Kubismus, Dadaismus) immer deutlicher: ein radikaler Entwurf, um die "verfluchte Heredität" loszuwerden (Kramer 1990). Paris-Reisen der Jahre 1905ff. und der bedeutende Zugewinn an Kulturtransfer (Meffre 2002) im Umkreis von Kahnweiler, Gide, Picasso, Braque u.a. haben ihre Spuren im ersten deutschen Großstadt-Roman über Berlin hinterlassen. Bebuquins "hilflos geliebte Erlebnisgestalt" ("BEB II"; Kröger 2007) wandert unter vielen Namen durch die gesamte Existenz Einsteins bis hin zum selbstgewählten Exil in Paris (1928), sei es in Briefen, im veröffentlichten Werk oder im Nachlass (Penkert 1969 u. 1970). Nur in der allerletzten Phase, auf dem Kriegsschauplatz Spanien fehlen Bebuquins Spuren bis jetzt (Moskauer Archiv noch unzugänglich).

Sehr wichtig wird im frühen Berliner Milieu die Bekanntschaft mit der Ägyptologin Hedwig Fechheimer. In diesem Zusammenhang steht möglicherweise eine Afrika (Ägypten?)-Reise, jedenfalls aber wurzelt hier der anti-kolonialistische, kunstphilosophische und geradezu meta-ethnologische Impetus zum Studium der Kulturen Afrikas und Ozeaniens bis hin zum Surrealismus der Pariser Zeit auf mythisch-religiöser Basis.

Weltkrieg und Revolution - 1914-1920

1914

Einstein trägt regelmäßig mit Aufsätzen, Glossen und Gedichten zu der expressionistischen Zeitschrift Die Aktion von Franz Pfemfert bei. Nach dem Kriegsausbruch meldet sich Einstein, wie viele seiner Schriftstellerkollegen, als Kriegsfreiwilliger: "Nun gehörte ich der Gemeinschaft an, die diesmal entschied und alle Notwendigkeit ausmachte. Wir traten in eine neue Gemeinschaft ein; Menschen die zusammen sterben oder siegen wollten" (BA 4).

1915

Seit mindestens Juni und bis Ende Dezember als Unteroffizier beim Rekruten-Ersatzdepot der 12. Landwehrdivision (82. Landwehrbrigade) in Neu-Breisach/ Oberelsass stationiert. Erstveröffentlichung der Negerplastik beim Verlag der Weißen Bücher (Leipzig). Diese bahnbrechende Studie untersucht die afrikanischen Kunstgegenstände unabhängig von ideologischen ethnozentrischen Vorurteilen und Meinungen, und in Verbindung mit den entstehenden kubistischen Theorien. Damit liefert Einstein einen wesentlichen Beitrag zur Strömung des "Primitivismus" der europäischen künstlerischen Avantgarde der Zeit.

1916

Kommandierung an die Zivilverwaltung des Generalgouvernements Brüssel, Abteilung Kolonien, möglicherweise wegen seiner Kenntnisse in afrikanischen Angelegenheiten und/oder seiner Kenntnisse des Französischen. Einstein scheint eine Funktion in der Bibliothek des Kolonialamtes im Congo-Museum von Tervuren (nahe Brüssel) zu übernehmen. Dort ist er jedenfalls wissenschaftlich tätig und versammelt Materialien für spätere literarische und ethnologische Arbeiten. Er veröffentlicht Negergedichte in der Aktion und erwähnt in einem Brief an Franz Blei sein Projekt "Afrika in zwei Büchern zu versammeln" (CEM). Nach dem Krieg schreibt er aber, er hätte auf das Projekt verzichtet, "die Kunst der Kongovölker zu schreiben", weil er sich geweigert hätte, "aus der Okkupation Belgiens literarische oder pekuniäre Vorteile zu ziehen" (Brief an Kurt Wolff, 1919; Kiefer 1994, 217).

Am 13. April besucht Einstein zum ersten Mal Carl und Thea Sternheim in deren Haus "Clairecolline" in La Hulpe (nahe Brüssel), das in diesen Jahren zum wichtigen Treffpunkt der in Brüssel versammelten deutschen Schriftsteller der expressionistischen Avantgarde (Gottfried Benn, Friedrich Eisenlohr, Otto Flake usw.) wurde. Nach "Clairecolline" kommt Einstein regelmäßig mit seiner Freundin Aga von Hagen oder mit dem Zivilkommissar für Brüssel und späteren Herausgeber der Zeitschrift Der Querschnitt Hermann von Wedderkopp.

1917

Intensive Auseinandersetzung mit den afrikanischen Kulturen und Veröffentlichung einer ersten Auswahl von Negermythen und afrikanischen Legenden in der Zeitschrift Marsyas von Theodor Tagger (d.i. dem späteren Dramatiker Ferdinand Bruckner). Weitere Gedichte werden in der Aktion veröffentlicht.

In Brüssel wird regelmäßig mit Benn, der dort als Militärarzt tätig ist und den Einstein schon vor dem Krieg kennen lernte, Kontakt gepflegt. Mit den "écrivains occupants" (s. Brief an Kurt Wolff 1919), die im Dienste der offiziellen sog. "Flamenpolitik" kulturpolitische Arbeit leisten (Rudolf Alexander Schröder, Friedrich Markus Huebner, dem Insel-Verleger Anton Kippenberg...) weigert er den Kontakt.

Einstein leidet unter einem Nervenschock, der wahrscheinlich seiner politisch-sozialen Wandlung zum späteren Revolutionär zugrunde liegt, wie aus einem Brief an seine Frau Maria hervorgeht: "Ich halte den Krieg nicht mehr aus. Alles bricht zusammen; alles was mir galt ist zerstört. [...] Es gibt keine Sekunde, wo ich mich nicht am Hals gepackt fühle. Herrschaft Kraft und Gewalt der Gemeinen. Elend der Guten. Wir sind in der Hölle und fallen in das Chaos" (Kiefer 1994, 218).

Laut einem Brief von Aga von Hagen an Thea Sternheim sei Ende 1917 Einstein aus seinem Amt bei der Kolonialverwaltung abberufen und infolge einer Denunziation aus Brüssel entfernt worden (Tagebuch Thea Sternheim, 7. und 15. Okt.; Roland, 67).

1918

Bis November 1918 ist die Art der Tätigkeiten Einsteins in Belgien nicht klar. Manche Quellen erwähnen einen Aufenthalt in einem Lazarett in der Nähe von Namür (Roland, 68). Sicher ist, dass Einsteins Politisierungsprozess sich weiter nach der russischen Revolution, wofür er sich begeistert, entwickelt. Politischer Aktivismus vor der Novemberrevolution und "Kontakte zu pazifistischen Kreisen" (Ihrig, 82) sind aber nicht belegt. Weitere Informationen über angebliche Tätigkeiten, die aus zweiter Hand von belgischen Zeitgenossen vermittelt wurden (so Robert Goffin, Fernand Wesly, den Historikern Gille-Ooms-Delandsheere) erscheinen als wenig zuverlässig.

Projekt einer "Enzyklopädie zum Abbruch bürgerlicher Ideologie" mit Sternheim und Benn, von dem nur zwei Seiten erscheinen, die erste von Sternheim, die zweite von Einstein (das Fragment Abhängigkeit, 1919 in der Zeitschrift Der blutige Ernst; s. BA 2) verfasst.

Freundschaft mit dem belgischen dadaistischen Schriftsteller Clément Pansaers, dem Hauslehrer der Kinder Sternheims und Herausgeber der Zeitschrift Résurrection, wo Pansaers Auszüge aus Bebuquin übersetzt. Sternheim inszeniert mit scharfer Ironie Einsteins "Negermanie" und die Beziehung mit Aga von Hagen in seiner Erzählung Ulrike.

Auf der Grundlage von verschiedenen Quellen, u.a. der nach den Ereignissen in Neukölln veröffentlichten Broschüre Die Revolution in Brüssel, an deren Verfassung Einstein möglicherweise beteiligt war, lässt sich diese "Revolution" folgenderweise zusammenfassen. Am 10. November erfolgt die Gründung des "Zentral-Soldaten-Rates" Brüssel unter der Leitung des USPD-Mitglieds Hugo Freund. Am Nachmittag wird über Telegramm vermittelt, dass die Offizieren des Generalgouvernements den revoltierenden Soldaten keinen Widerstand leisten und mit ihnen die Zusammenarbeit suchen sollten (Gotovitch); so wird das Generalgouvernement im Brüsseler "Palais de la Nation" gewaltlos "erstürmt", und die rote Fahne wird gehisst. An diesem Tag scheint Einstein zuerst voller revolutionärer Utopien zu sein und sucht Zusammenschluss mit belgischen revolutionären Kräften (Eisenlohr; Einstein taucht in diesem autobiographischen Roman als "Dr. Unfels" auf). Schnell muss er in bitterer Resignation feststellen, dass die belgischen Sozialisten aus verschiedenen Gründen zur Kollaboration mit dem Soldatenrat nicht bereit sind und dass die deutschen Soldaten sich vor allem nach Räumung und Kriegsende sehnen. Einstein übernimmt dann offizielle Funktionen für den Soldatenrat: Verhandlungen mit den ehemaligen deutschen Behörden, belgischen Politikern und Vertretern der neutralen Länder (Holland, Spanien), um den chaotischen Zuständen (Plünderungen, Schießereien...) vorzubeugen; er trägt zu der Verproviantierung der Bevölkerung und der Evakuierung der deutschen Soldaten bei und übernimmt die Organisation des Pressedienstes. Die letzte Spur seiner Anwesenheit in Belgien datiert aus dem 16. November. Auffällig bei Berücksichtigung der Ereignisse ist Einsteins anfängliche politische Unerfahrenheit im Vergleich mit den meisten Mitgliedern des Soldatenrates, die SPD oder USPD-Mitglieder sind und demzufolge ihn als "Anarchisten" missachteten; andererseits ist seine schnelle Anpassungsfähigkeit und Wandlung zum geschickten und besonnenen Diplomaten bemerkenswert. (Roland; Gotovitch) Der unentwegte Platoniker erscheint, auf Empfehlung von Franz Werfel, bei Kurt Wolff in Leipzig

1919

Einstein engagiert sich dezidiert im Dienste der spartakistischen Revolution. Nach der Gründung der KPD zur Jahreswende und dem Aufruf zum Sturz der SPD-Regierung wird er direkt in die Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes verwickelt. Am 15. Januar (Tag der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht) wird er mit seiner Frau Maria, Franz und Alexandra Pfemfert verhaftet; die Verhafteten werden schnell losgelassen.

Vermutlich bereits als Mitglied der kommunistischen Partei Berlin-Charlottenburgs setzt Einstein in polemisch-propagandistischen Artikeln für die Zeitschrift Die Pleite seine revolutionäres Engagement fort (s. den Aufsatz An die Geistigen; BA 2). Am 14. Mai hält er einen Vortrag über "Die politische Verantwortung der Intellektuellen" in der Berliner Philharmonie als Unterstützung des Plans eines "Rätebunds" d.h. des Experiments einer "Räterepublik der Literaten". Am 13. Juni hält er eine Rede bei der Totenfeier für Rosa Luxemburg in Berlin; im 8 Uhr-Abendblatt wird eine Denunziation veröffentlicht, laut der Einstein bei dieser Gelegenheit zum Morde aufgefordert haben soll. Am nächsten Tage fährt er mit dem Zug von Berlin nach Nürnberg, um dort einer kommunistischen Veranstaltung teilzunehmen; wegen der Überwachungsstrategie nach der Zerschlagung der bayrischen Räterepublik wird er vorläufig festgenommen, weil er mit einem falschen Pass reist. Am 19. Juni wird er über die bayerische Landesgrenze abgeschoben und reist nach Berlin zurück. (Heißerer 1992 b)

In der von ihm und George Grosz ab Nr. 3 herausgegebenen Zeitschrift Der blutige Ernst entlarvt Einstein in einer Parodie auf Ludendorffs Tagebuch den Nobelpreisträger Fritz Haber als Erfinder des Gaskriegs und als Büttelmarionette in den Händen des Generals.

Weitere Beiträge zu Der blutige Ernst und der dadaistischen Zeitschrift von Wieland Herzfelde Die Pleite. Kontakte zum Malik-Kreis mit Herzfelde, Grosz und John Heartfield. Pansaers besucht Einstein in Berlin und versucht mit dem Herausgeber der französischen Zeitschrift Sic Pierre Albert-Birot zu vermitteln.

Zwischen Dada und Kunst des 20. Jahrhunderts - Einsteins Berliner Jahre 1920-1928

1920

Januar: Besuch des belgischen Schriftstellers Clement Pansaers in Berlin, den Einstein in Brüssel kennen gelernt hat. Mit seiner Loslösung aus dem Berliner Dada-Szene - noch 1920 wird er vom Bulletin Dada zum Kreis der Dada-Präsidenten gezählt - beginnt Einstein seine zunächst zögerliche Mitarbeit in Paul Westheims Kunstblatt im April mit einem Text zu Rudolph Schlichter. Einstein plant eine Beteiligung an der von Le Corbusier und Ozenfant herausgegebenen Monatsschrift L'Esprit nouveau (vgl. Ebel). Anfragen Ozenfants um Artikel noch im Folgejahr führen jedoch zu keiner Veröffentlichung Einsteins. Kisling gegenüber distanziert sich Einstein 1921 deutlich vom Purismus Ozenfants (CEMK).

Zusammen mit der Gräfin Agathe (Aga) von Hagen, die er schon aus seiner Brüsseler Zeit kennt, kauft Einstein in Berlin-Frohnau, Veltheim-Promenade 17, ein Haus.

 

Ab Oktober: Regelmäßige Veröffentlichungen in der von Florent Fels herausgegebenen Pariser Zeitschrift Action mit dem Beginn der Bebuquin-Übersetzung Yvan Golls. Goll und Einstein dürften sich bereits seit ca. 1913 kennen. Im Laufe seiner Mitarbeit an Action auch Bekanntschaft zu Clara und André Malraux. Clara Malraux übersetzt zusammen mit Einstein Bebuquin, die Übersetzung geht allerdings verloren.

November: Einstein nimmt brieflichen Kontakt zu dem von ihm sehr geschätzten polnischen Maler Moïse Kisling auf, den er bereits um 1912/13 in Paris kennen gelernt haben dürfte. Einstein bittet um die Zusendung der Zeitschriften Les Cahiers d'aujourd'hui, die von Breton, Aragon und Soupault gegründete Littérature, schließlich L'Esprit nouveau. Bald fasst er den Plan zu einer Monographie über Kisling und bemüht sich außerdem um eine Kisling-Ausstellung in Berlin.

Einsteins Negerplastik erscheint im November in zweiter, fast unveränderter Auflage im Münchner Verlag Kurt Wolff. Neben anderen Projekten zu Afrika kommt Einstein auf bereits um 1916 verfolgte Pläne zur Veröffentlichung einer "mythologie africaine" zurück, die freilich erst 1925 als Afrikanische Legenden erscheinen wird.

1921

In den Januar fällt die Beendigung der Arbeit an Die schlimme Botschaft. Einstein beginnt die Korrespondenz mit dem im Februar 1920 nach Paris zurückgekehrten Daniel-Henry Kahnweiler, verbunden mit der Bitte um Bildmaterial für die entstehende Afrikanische Plastik (EKC). Bereits im Jahr zuvor nimmt er im selben Zusammenhang Kontakt zum Pariser Galeristen Paul Guillaume auf.

Außerdem verfolgt Einstein bereits seit Ende 1920 gehegte Pläne zu einer letztlich nicht realisierten Vierteljahrs-Zeitschrift mit dem Arbeitstitel Moment, die er vermutlich zusammen mit Florent Fels herauszugeben beabsichtigt. Womöglich im Zuge dieses Projekts bereist er im Januar Hamburg und Hannover. Er äußert daneben Pläne zu einer ebenfalls nicht realisierten Veröffentlichung moderner (französischer) Künstler für die Marées-Gesellschaft, deren Fortgang sich bis in den Februar des Folgejahres verfolgen lässt, und tritt deswegen mit Julius Meier-Graefe in Verbindung, zudem mit Kahnweiler. Womöglich handelt es sich hierbei um den erst 1923 erschienenen 42. Druck der Marées-Gesellschaft, Die Mappe der Gegenwart, die mit Abbildungen von Braque, Picasso, Vlaminck oder Derain auch einige mit Kahnweiler zumindest zeitweilig assoziierte Künstler präsentiert. März: Einstein besucht die mit ihm befreundete Malerin Anita Rée in Hamburg.

Vermutlich im Frühjahr lernt Einstein durch Vermittlung Moïse Kislings den Bildhauer Alexander Archipenko kennen, der sich seit 1921 in Berlin aufhält. Womöglich der Initiative Einsteins, von Archipenko zunächst durchaus angetan, ist es zu verdanken, dass im selben Jahr, parallel zu verschiedenen Ausstellungen Archipenkos und zur Publikation zweier Lithographien in Die Schaffenden, im Verlag Wasmuth ein Mappenwerk Archipenkos mit Steindrucken erscheint. Einstein besucht auch wenige der von Archipenko initiierten Künstlertreffen, womöglich im Zusammenhang zu sehen mit dessen Lehrtätigkeit in Berlin-Charlottenburg, ist insgesamt jedoch eher enttäuscht. Die Beziehung zwischen beiden trübt sich in der Folge deutlich.

Am 1. Juli erscheint Die schlimme Botschaft, von deren 2400 Exemplaren lediglich 250 verkauft werden und die, neben deutlichem Unverständnis aus kommunistisch orientierten Kreisen, auf Widerstand im rechten, nationalistischen und antisemitischen Lager führt. Einstein liest in der Galerie Herbert von Garvens in Hannover daraus vor (Vester). Im Sommer besucht Einstein die Pinakothek in München und zeigt sich beeindruckt von Werken vor allem Lukas Cranachs d.Ä. In München wohnt er außerdem einer Strindberg-Aufführung bei. Er erhält im Zeitraum Sommer bis Herbst Besuche von Kisling, Yvan und Claire Goll, Henri-Pierre Roché, Frans Masereel in Berlin/Frohnau. Außerdem schließt Einstein Bekanntschaft mit Ilja Ehrenburg und El Lissitzky (letzterer befindet sich erst seit Ende 1921 in Berlin). In diese Zeit fällt auch das Fragment eines Aufsatzes zur russischen Kunst nach der Revolution, zunächst auf das Werk Nathan Altmanns ausgerichtet, mit dem Einstein zu Beginn der zwanziger Jahre in Verbindung steht (Neundorfer). Ein Erscheinen in der von Ehrenburg und Lissitzky herausgegebenen Zeitschrift Wjeschtsch scheitert. Einstein bewegt sich verstärkt in den Kreisen der russischen Emigranten in Berlin.

Im November erscheint in der von Paul Westheim im Berliner Wasmuth-Verlag herausgegebenen Reihe "Orbis pictus" Einsteins Afrikanische Plastik, die er Kisling widmet. Einstein berichtet Kisling von seiner Arbeit an dem Buch Der frühere japanische Holzschnitt, das, der renommierten Frankfurter bzw. Berliner Sammlerin Tony Straus-Negbaur gewidmet, im Folgejahr ebenfalls in der Reihe "Orbis pictus" erscheint. Die Action publiziert neben der Fortsetzung des Bebuquin weitere französische Übersetzungen aus Einsteins Œuvre: Teile der Schlimmen Botschaft erscheinen, die Neger-Lieder wie der Beginn der Negerplastik. Einstein veröffentlich hier auch als Original-Beitrag in französischer Sprache seinen Aufsatz De l'Allemagne, der womöglich im Zusammenhang mit einem Buchprojekt über die Révolution allemande steht, das er zu dieser Zeit zusammen mit Henri-Pierre Roché plant. Die Zagreber Zeitschrift Zenit druckt, vermutlich durch Goll vermittelt, Einsteins Neger-Gebet. Yvan Goll hatte sein in der Biblioteka Zenit erschienenes Poem Paris brennt Carl Einstein gewidmet (Ihrig). Dezember: Im Zuge der Inflation erleidet Einstein - wahrscheinlich infolge von Börsenspekulationen - größere Verluste (CEMK). Einstein äußert gegenüber Kahnweiler die Überlegung, die neueröffnete Berliner Depandance der Galerie Flechtheim zu leiten. Einstein liest Trotzki, interessiert sich für Jarrys Ubu Roi und die "pensées" von Ingres.

Dezember: Im Zuge der Inflation erleidet Einstein - wahrscheinlich infolge von Börsenspekulationen - größere Verluste (CEMK). Einstein äußert gegenüber Kahnweiler die Überlegung, die neueröffnete Berliner Depandance der Galerie Flechtheim zu leiten. Einstein liest Trotzki, interessiert sich für Jarrys Ubu Roi und die "pensées" von Ingres.

1922

Im Februarheft des Kunstblatt publiziert Waldemar George den Aufsatz Carl Einstein und Jacques Lipschitz, in der er plastische Prinzipien, die Einstein in der Negerplastik formuliert hatte, auf das Werk von Lipchitz übertragen will. Im Sommer dieses Jahres kommt es zum Kontakt zwischen Einstein und Lipchitz. Einstein äußert gegenüber Kisling die Absicht, im März nach Paris zu reisen. In diesen Monat fällt der Abschluss des Vertrags mit dem Propyläen-Verlag über die Abfassung des Textes und die Bebilderung der Kunst des 20. Jahrhunderts. Einstein erhält vom Propyläen-Verlag ein Darlehen über 5.000.- M. für eine Reise wohl nach Paris. Ein Aufenthalt Einsteins dort ist für den April nachweisbar.

Das Amtsgericht Berlin verfügt am 15. März die Beschlagnahme von Einsteins Drama Die schlimme Botschaft, am 10. August erhebt der Oberstaatsanwalt Ortmann Anklage wegen Gotteslästerung gegen Einstein und seinen Verleger Ernst Rowohlt (§ 166 StGB). Es folgt die Verurteilung Einsteins am 12. Oktober zu 6 Wochen, Rowohlts zu drei Wochen Gefängnis, ersatzweise zu einer Geldstrafe von 10.000 bzw. 5.000 Mark. Einstein reagiert darauf auch publizistisch (Gott in Paragraphen gepreßt).

Im Frühjahr beginnt Einstein seine Mitarbeit an dem zu dieser Zeit noch von Alfred Flechtheim herausgegebenen Der Querschnitt, außerdem intensiviert er nun seine Arbeiten für Westheims Kunstblatt.

 

Das Titelblatt der von Ehrenburg und Lissitzky herausgegebenen Zeitschrift Вещь Objet Gegenstand weist Einstein in der ersten Nummer vom März/April als zukünftigen Beiträger aus. Obwohl dort "Gedichte" Einsteins angekündigt werden, beabsichtigte Einstein sehr wahrscheinlich die Publikation seines Aufsatzes zur revolutionären russischen Kunst. Zu einer Veröffentlichung an diesem Ort ist es allerdings auf Grund der Einstellung der Zeitschrift nicht gekommen.

Ca. September: Pläne zu einem nicht realisierten Roman, Die Automaten, zusammen mit Fernand Léger. Außerdem hegt Einstein den Plan, seine Erzählung aus der Vorkriegszeit Die Mädchen auf dem Dorfe von Kisling illustriert erscheinen zu lassen. Einsteins Monographie zu Kisling erscheint in Leipzig in der Reihe "Junge Kunst", parallel dazu im Cicerone und dem Jahrbuch der jungen Kunst. Im Zuge weiterer Pläne zu Publikationen zu Braque ("recherche pure de l'espace par un peintre") und Gris, die sich bis in den Juni des Folgejahres hinziehen werden, will Einstein nach Paris reisen.

Die am 15. Oktober in der Berliner Galerie van Diemen eröffnete "Erste russische Kunstausstellung" lässt Einstein sichtlich unbeeindruckt: "ils troubleront avec ça un peu de la vieille merdre" (CEMK).

Die Afrikanische Plastik erscheint in der französischen Übersetzung von Thérèse u. Raymond Burgard in Paris, Teile daraus in der Action, eine italienische Übersetzung gibt die Edition der Valori plastici in Rom heraus.

Am 23. Dezember lernt Einstein in Frankfurt a.M. bei seinem Schwager, dem Bildhauer Benno Elkan, Tony Simon-Wolfskehl kennen. In Frankfurt dürfte er auch - so legen es die Briefe an Simon-Wolfskehl nahe - Kontakt zu Max Beckmann gehabt haben. Ebenfalls im Dezember verfasst Einstein, motiviert durch von Kahnweiler erhaltene Reproduktionen, den Artikel Gerettete Malerei, enttäuschte Pompiers (veröffentlicht Februar 1923 im Kunstblatt mit den entsprechenden Abbildungen), in dem sich seine erneute Annäherung an den Kubismus manifestiert. Ende 1922, Anfang 1923 amouröse Kontakte zu Elsa Triolet.

1923

In einem Brief an Tony Simon-Wolfskehl distanziert sich Einstein im Januar von zahlreichen seiner literarischen Kollegen, darunter Alfred Döblin, Leonhard Frank, aber auch Goll. Allein Gottfried Benn, mit dem er sich während der zwanziger Jahre hin und wieder trifft, wird von Einstein anerkannt. Etwa zu dieser Zeit bemüht sich Einstein intensiv um sein Projekt der "Fortsetzung" des Bebuquin, das sich bis Mitte der dreißiger Jahre verfolgen lässt und in dieser Zeitspanne mancherlei konzeptionelle Veränderung erfährt. In den Februar fallen Pläne zu einem Erzählungsband mit Illustrationen von Gris. Etwa zur selben Zeit auktioniert Einstein in den Räumen der Galerie Flechtheim Aquarelle von Joachim Ringelnatz.

Seit Ende 1922 oder zu Beginn 1923 pflegt Einstein Kontakte nach Russland, u.a. um dort seine "gesammelten Schriften" zu veröffentlichen. Einstein verkehrt mit Jewgeni Lundberg, zu dieser Zeit Mitarbeiter im "Skythen"-Verlag, und Alexander Tairow, Gründer des Moskauer Kammertheaters. Womöglich in Verbindung mit beiden, aber auch mit Meyerhold, erwägt Einstein die Aufführung der Schlimmen Botschaft in Russland. Bezeugt sind außerdem Besuche im Atelier von Iwan Puni und Kontakte zu dessen Frau Xenia Boguslawskaja, mit der er wohl nach deren Übersiedlung nach Paris in Verbindung steht. Im Mai hält Einstein einen Vortrag im russischen "Haus der Künste" über "Kubismus".

Im Frühjahr reicht Einstein die Scheidung von Maria Einstein, geb. Ramm, ein, verfolgt im Gegenzug Heiratspläne mit Tony Simon-Wolfskehl. Wohl in diesem Kontext kommt es zur Kontaktaufnahme Einsteins zum Bauhaus und zu Treffen mit Gropius, Kandinsky und Klee. Einstein schlägt schließlich eine Berufung ans Bauhaus aus.

April: Einstein erwägt die Übersetzung von Maurice Raynals Le boxeur et son ombre.

Mai: Pläne zu Publikationen zu Gris, Braque, Léger und Klee im Propyläen-Verlag, möglicherweise sind damit Mappenwerke gemeint. Besuche von Florent Fels, wahrscheinlich auch von Marc Chagall.

Juni: Einstein schreibt den sog. "Kahnweiler-Brief", hervorgegangen aus Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Bildmaterial, das Kahnweiler ihm zur Verfügung gestellt hatte. Darin spricht sich Einsteins Versuch der theoretischen Klärung eines literarischen Kubismus aus. Ankündigung eines solchen Textes, illustriert mit Lithographien von Gris, verbunden mit der Ankündigung eines theoretischen Werks hierzu. (EKC )

Ende der Beziehung zu Tony Simon-Wolfskehl wahrscheinlich Juli/August. Ab Sommer (wohl bis Ende des Jahres): Einstein verlässt Deutschland, um der angespannten politischen Lage zu entkommen. Aufenthalt mit der Fotografin Florence Henri in Italien, nahe Florenz (Meffre 2002). Aga von Hagen bleibt unter der Obhut der Familie Wasmuth, dem Verleger Günther, seinem Bruder Ewald und dessen Lebensgefährtin Sophie Kindsthaler, die Einstein wohl seit Beginn der zwanziger Jahre kennt, in Berlin/Frohnau zurück.

Oktober: Uraufführung von La création du monde, durch das Schwedische Ballett mit der Bühnenausstattung Légers, die dieser u.a. nach Vorlagen der Negerplastik und Afrikanischen Plastik gestaltet hatte. Für die musikalische Komposition zeichnete Darius Milhaud verantwortlich. Bereits im Jahr 1920 soll Einstein, so legt wenigstens eine Bildlegende in Flechtheims Querschnitt nahe, die Idee zu dem Solo-Tanz Sculpture nègre von Jean Börlin, dem Choreographen und Ersten Tänzer des Schwedischen Balletts, geliefert haben. Im Frühjahr 1922 hatte Einstein einen positiven Artikel über eine andere Produktion des Ensembles, Skating Rink, ebenfalls mit der Ausstattung durch Léger, im Querschnitt veröffentlicht. - Die Beziehungen Einsteins zum Umfeld des Schwedischen Balletts via Léger gestalten sich noch komplexer: Wohl im Mai 1923 berichtet er an Kisling von seinen Bemühungen, die Komponistengruppe "Les Six", zu denen auch Erik Satie und Darius Milhaud gehörten, in Berlin zu etablieren. Und bereits im Januarheft 1923 des Kunstblatt hatte Léger, mit dessen Illustrationen Einstein ja seinen Automaten-Roman zieren wollte, seinen Artikel Kurzgefaßte Auseinandersetzung über das aktuelle künstlerische Sein Carl Einstein gewidmet. 1924 wird Léger im Februarheft dieser Zeitschrift Einsteins literarisches Schaffen in eine Reihe mit Whitman, Rimbaud, Cendrars und Majakowski stellen.

Der Spiegel, Jahrbuch des Propyläen Verlages 1924 Herbst/Winter: In ausführlichen Briefen an den Freund Kisling versucht Einstein, diesen über eine künstlerische Krise hinwegzuhelfen.November: Ausführlicher Brief an Ewald Wasmuth, in dem sich Einstein in einem für ihn ungewöhnlichen Umfang theoretisch im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Mach und Bergson auch zu Fragen der Psychologie äußert. Ewald Wasmuth wird sich 1929, mit dem Erscheinen seines philosophischen Erstlings Kritik des mechanistischen Weltbilds, worin er sich u.a. auch auf Einsteins Anmerkungen bezieht, aus dem zusammen mit seinem Bruder Günther geleiteten Verlag zurückziehen 12. Dezember: Brief an Paul Léautaud, mit der folgenlosen Bitte, dessen Erzählung Le petit ami übersetzen zu dürfen.Einsteins Veröffentlichungen, mit Ausnahme des als Vorabdruck aus der Kunst des 20. Jahrhunderts in Der Spiegel. Jahrbuch des Propyläen-Verlages veröffentlichten André Dérain, ausschließlich im Querschnitt oder Kunstblatt publiziert, fallen bis auf eine Ausnahme in die erste Hälfte des Jahres. Außerdem erscheint seine Übersetzung von Gustave Coquiots Toulouse-Lautrec in luxuriöser Aufmachung im Wasmuth-Verlag.

1924

Spätestens Frühjahr: Einstein ist zurück in Deutschland. Erste Absichten eines Umzugs nach Paris werden gegenüber Kahnweiler geäußert, schon im Dezember des Vorjahres drückt Einstein gegenüber Kisling seine Hoffnung aus, im Frühjahr in Paris zu sein. Einsteins Bemühungen um Publizität in der Sowjetunion tragen Früchte, da im Februar die Zeitschrift Rossija Einsteins Der Verfall der Ideen in Deutschland als Originalbeitrag in russischer Sprache abdruckt. Außerdem erscheint eine russische Übersetzung der Schlimmen Botschaft.

Spätestens ab Sommer beginnt Einsteins Zusammenarbeit mit Westheim und Hermann Kasack, dem Lektor des Kiepenheuer-Verlags, für den Europa Almanach, der - entgegen der Jahresangabe - bereits Ende 1924 erscheint (Windhöfel). Weitere Jahresbände sind geplant, kommen jedoch nicht zustande. Dabei u.a. Brief an Tristan Tzara (30.7.1924), in dem Einstein ohne Erfolg um die Zusendung einer kurzen Geschichte Dadas bittet. Weitere Briefe an Carl Sternheim und Franz Hellens aus der Hand Einsteins mit der Bitte um Beiträge sind erhalten. Entgegen den ursprünglichen Plänen - Kasack wollte sich die den Almanach durchziehenden Glossen mit Einstein teilen - verzichtet Einstein auf die Abfassung von Glossen. Seinen Part übernimmt offensichtlich Franz Landsberger. Ebenfalls bei Kiepenheuer gibt Einstein zusammen mit Westheim auch einen Band Rudolf Belling - Skulpturen heraus. Kahnweiler gegenüber äußert Einstein sein Missbehagen über den Querschnitt.

November: Kontakte zu Ezra Pound mit dem Plan zu einer Anthologie englischer und amerikanischer Lyrik, Plan zur Übersetzung diverser amerikanischer Romane; hierbei offensichtliche Mitarbeit am Berliner Verlag "Die Schmiede".

1925

Afrikanische Legenden, Berlin, 1925 28. März: Bestätigung des Propyläen-Verlages über den Eingang der letzten Manuskriptseiten der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ab März oder April hält sich Einstein zusammen mit Aga von Hagen in London auf und betreibt u.a. zusammen mit dem Ethnologen Thomas Athol Joyce Studien zu einer unveröffentlicht gebliebenen Publikation über afrikanische Kunst, die im Wasmuth-Verlag erscheinen sollte. Daneben Kontakte zum Kunsthistoriker Roger Fry und zum Burlington Magazine. In diese Zeit fällt auch Einsteins Arbeit an der Übersetzung und Einleitung von Gustave Coquiots Utrillo, welche noch im selben Jahr erscheint. Einstein betreibt Vorarbeiten zu einem bis in dreißiger Jahre zu verfolgenden, letztlich jedoch nicht ausgeführten Projekt über Corot. Daneben unterstützt er Aga von Hagen redaktionell wohl bei deren allerdings erst 1935 erschienenen Buch über Hunderassen.

Im Frühjahr und Sommer hält sich Einstein u.a. zusammen mit Belling und Westheim in Paris auf. Er will das Bildmaterial für Utrillo sichern, trifft u.a. mit Kahnweiler und André Gide zusammen und führt Verhandlungen mit der Nouvelle Revue Française. Pläne zu Vorlesungen an der Sorbonne im Dezember. Heiratspläne Mit Aga von Hagen.

Neben die schon lange vorbereiteten Afrikanischen Legenden, die bei Rowohlt erscheinen, treten kaum Veröffentlichungen neuer Texte.

1926

7. Januar: Vorlesung Einsteins an der Sorbonne unter dem Titel "L'art comme moyen de transformation de l'espace". Eine Veröffentlichung des Vortrags ist zwar angekündigt, wird aber nicht ausgeführt. Im April erscheint Einsteins Die Kunst des 20. Jahrhunderts als 16. Band der Propyläen-Kunstgeschichte. Im April-Heft des Querschnitt wird daraus das Kapitel über Juan Gris weitgehend unverändert abgedruckt. Kurz darauf, am 15. April, kommt es zum "Attentat" de Fioris auf Einstein in der Berliner Galerie Flechtheim: aufgrund der vermeintlich schlechten Kritik Einsteins in der Kunst des 20. Jahrhunderts schlägt de Fiori Einstein, der zusammen mit Eckart v. Sydow die von Einstein organisierte Ausstellung "Südseeplastiken" besichtigt, den Band der Kunstgeschichte über den Kopf. Einstein erstattet daraufhin Anzeige. Eine Rechtfertigung de Fioris erscheint in der Notiz Mein Attentat in Das Tagebuch. Stephan Grossmann, der Herausgeber des Tagebuch nimmt den Vorfall zum Anlass, sich über die "Gewerkschaft der Kunstkritiker" lustig zu machen. Gegenüber Kahnweiler erwähnt Einstein den Plan einer eigenständigen Publikation zum Kubismus in Zusammenarbeit mit dem Sammler Gottlieb Friedrich Reber.

November: Kontakte zu Ezra Pound mit dem Plan zu einer Anthologie englischer und amerikanischer Lyrik, Plan zur Übersetzung diverser amerikanischer Romane; hierbei offensichtliche Mitarbeit am Berliner Verlag "Die Schmiede".

Katalog Südsee-Plastiken, Berlin, 1926 Einstein liest mit Enttäuschung Ludwig Justis Giorgione. Im Sommer oder Herbst hält sich Einstein in Kochel am See, Oberbayern, auf, das er in den vorhergegangenen Jahren wohl schon häufiger als Urlaubsdomizil gewählt hatte.

In einem Brief vom 28. Oktober sichert Max Beckmann Einstein die weitere Unterstützung seiner Arbeit zu und verspricht die Zusendung von Fotografien, vielleicht bezogen auf die Neuauflage der Einsteinschen Kunstgeschichte.

Neben dem Vorwort zu dem Katalog Südseeplastiken der Galerie Flechtheim veröffentlicht Einstein in der zweiten Jahreshälfte im Querschnitt zwei Artikel zum Berliner Völkerkundemuseum, im Kunstblatt Artikel zu Kandinsky, Georges Michel, und George Grosz.

1927

Anfang des Jahres nimmt Einstein Kontakt zum Münchner Bruckmann-Verlag auf. Ein Brief des Bruckmann-Verlags vom 31.3.1927 reagiert ablehnend auf das Angebot Einsteins, eine "Geschichte der französischen Malerei seit der Renaissance bis zu unseren Tagen" zu veröffentlichen.

Im März beginnt Einstein, jetzt wohnhaft in Berlin-Charlottenburg, mit der Arbeit an der zweiten Auflage der Kunst des 20. Jahrhunderts, die 1928 erscheint. Im Zusammenhang dieser Überarbeitung stehen auch Briefe Einsteins an George Grosz, in denen er diesen u.a. um Abbildungen bittet und Mut zu neuen Arbeiten macht. Im Frühjahr erfolgt die Trennung von Aga von Hagen, Einstein zieht nun in die Pension Krause, Berlin Wilmersdorf.

Am 11. Mai stirbt Juan Gris. Kahnweiler benachrichtigt Einstein. Dieser veröffentlicht im selben Monat im Querschnitt einen Artikel zu Rudolf Belling.

Etwa im Juni bittet Einstein im Zuge der Überarbeitung seiner Kunstgeschichte Kahnweiler um nähere Auskünfte zu André Masson. Masson wird allerdings erst in der dritten Auflage der Kunst des 20. Jahrhunderts erwähnt, dann allerdings als zentrale Figur des neuen Kapitels zur "Romantischen Generation".

Sommer bis Herbst: Einstein verbringt, wie er an Kahnweiler schreibt, "fünf Monate" in "Oberbayern und Tirol" (EKC). Auch hier dürfte Kochel sein vornehmlicher Aufenthaltsort gewesen sein. Einstein arbeitet weiter intensiv an der zweiten Auflage der Kunst des 20. Jahrhunderts, vor allem wohl an dem Picasso-Kapitel, das er im November an Kahnweiler zur Begutachtung mit der expliziten Hoffnung auf eine französische Publikation schickt. Auch an das Ehepaar Reber geht vermutlich eine Kopie des Picasso-Kapitels, verbunden mit der Bitte, das Kubismus-Kapitel Reber widmen zu dürfen, den Einstein im November in Berlin trifft. Mit der Umarbeitung des Picasso-Kapitels proklamiert Einstein das halluzinative Intervall, präludiert gewissermaßen sein Surrealismus-Kapitel der dritten Auflage. Eine wohl parallel verfasste, im Oktober in der Neuen Rundschau veröffentlichte Rezension Einsteins zu Gottfried Benns Gesammelten Gedichten nimmt in ihrem Tenor ebenfalls das Surrealismus-Kapitel vorweg. Das Kapitel zu Picasso wird, erkennbar in seiner Umarbeitung, jedoch um die entscheidenden Erweiterungen gekürzt, 1928 in der Neuen Schweizer Rundschau erscheinen. Lektüre: Paul Valéry: Une soirée avec M. Teste.

Franz Ludwig Hörth Im November erscheint ein Beitrag Einsteins zum Renoir-Katalog der Galerie Flechtheim.

Bei Wasmuth in Berlin veröffentlicht Einstein mit Leon Bakst, dem damaligen Direktor der Berliner Staatsoper Franz Ludwig Hörth (1883-1934) zugeeignet, Einsteins einzige nicht fiktionale Publikation, die ausschließliche dem Theater gewidmet ist.

1928

Mai: Nach einem Italien-Aufenthalt Wiederaufnahme der Pläne zur Übersiedlung nach Paris. Zuvor Kürzerer Aufenthalt in Lugano und Lausanne, vermutlich im Zusammenhang mit Reber. Einstein hegt Pläne, Aga von Hagen mit nach Paris zu nehmen.

Zusammenleben mit Lyda Guevrekian, die Einstein am 6.12.1932 in Paris heiraten wird. Die Kunst des 20. Jahrhunderts erscheint in zweiter Auflage. Daneben publiziert Einstein in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration einen Artikel über Giorgo de Chirico. In den Cahiers d'Art erscheint: Les Fontaines de Rudolf Belling.

Paris 1928-1936

1928

En mai, Carl Einstein s'installe définitivement à Paris après plusieurs séjours à l'étranger, notamment en Italie en compagnie de la photographe Florence Henri. Sortie de la 2e édition revue et augmentée de Die Kunst des 20. Jahrhunderts.

1929

Cofondation avec Georges Bataille de la revue Documents - Doctrines, Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie. L'historien et marchand d'art, Georges Wildenstein, qui est ami d'Einstein et édite déjà Beaux-Arts, finance l'entreprise. Participent à la fondation Michel Leiris, Georges-Henri Rivière, le collectionneur G. F. Reber. De nombreux spécialistes tant français qu'allemands apportent leur contribution à cette revue qui cessa de paraître en 1930, mais marqua profondément son époque. Einstein rédigea plus d'une trentaine d'articles sur l'art et ouvrit largement la revue à l'ethnologie allemande.

Amitié avec Eugène et Maria Jolas, début de collaboration à leur revue Transition. Les articles d'Einstein sont traduits en anglais par E. Jolas. Le projet d'une section sur l'art confiée à Einstein n'aboutit pas. La collaboration durera jusqu'en 1932.

1930

Publication du premier ouvrage d'Einstein en France par Kahnweiler à la Galerie Simon. C'est un poème en allemand Entwurf einer Landschaft avec des illustrations de Gaston-Louis Roux.

Einstein collabore à la revue d'Eckart von Sydow Die Kunstauktion, plusieurs articles paraissent simultanément dans cette revue à Berlin et dans Documents à Paris.

Einstein dit travailler à un roman et à une esthétique. Les écrits du fonds parisien ne permettent pas d'identifier avec précision ces ouvrages.

November: Kontakte zu Ezra Pound mit dem Plan zu einer Anthologie englischer und amerikanischer Lyrik, Plan zur Übersetzung diverser amerikanischer Romane; hierbei offensichtliche Mitarbeit am Berliner Verlag "Die Schmiede".

1931

Die Kunst des 20. Jahrhunderts, Titelblatt der 3. Auflage Einstein se rend à Berlin pour y faire une conférence intitulée "Neue Strömungen" dans le cadre d'une série d'exposés à la Staatliche Kunstbibliothek sur les problème de la peinture contemporaine. Revoit ses amis Benn, Wasmuth … qui lui rendent d'ailleurs visite à Paris.

Parution de la 3e édition de Die Kunst des 20. Jahrhunderts revue et augmentée en particulier du chapitre sur les peintres Masson, Miró et G.-L. Roux.

1932

Mariage avec Lyda Guévrékian, sœur de l'architecte Gabriel Guévrékian. Braque est leur témoin.

1933

La situation financière d'Einstein est difficile comme en témoigne sa correspondance.

A la Kunsthalle de Bâle, Carl Einstein réalise (du 9 avril au 14 mai) la première grande exposition sur Braque et rédige le catalogue.

1934

Georges Braque, 1934 La monographie Georges Braque, rédigée en 1931-1932, paraît en français aux éditions Les Chroniques du Jour, Paris. Le projet de publication en anglais ne se réalise pas par suite de difficultés avec les éditeurs anglo-saxons.

Einstein écrit avec Jean Renoir le scénario du film Toni, d'après le roman de J. Levert, et participe dans le sud de la France à la réalisation du film qui sort le 22 février 1935 à Paris et qui est considéré comme le début du neoréalisme.

Einstein travaille à la rédaction du manuscrit, resté inachevé et publié de façon posthume, Die Fabrikation der Fiktionen.

1935

Einstein prononce une conférence "Kunst als kollektiver Gebrauchsgegenstand" au Schutzverband deutscher Schriftsteller à Paris. Toutefois, ses contacts avec les milieux de l'émigration allemande restent très réduits.

1936

Einstein part en Espagne sans prévenir ses amis parisiens. Il ne reprendra contact qu'en été 1938 avec Kahnweiler.

Carl Einstein in Spanien 1936-1939

1936

Ende Juli oder Anfang August: Einstein reist nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs als Journalist mit einer Gruppe antifaschistischer französischer Intellektueller nach Barcelona. Lernt dort Helmut Rüdiger kennen, damaliger Sekretär der ständigen Vertretung der syndikalistischen Internationale (IAA) in Barcelona und Herausgeber des Deutschen Informationsdienstes der CNT-FAI. Daraufhin politischer Anschluss an die anarchosyndikalistische CNT-FAI (Confederación Nacional del Trabajo; Federación Anarquista Ibérica). Wohnt anfangs bei Helmut und Dora Rüdiger. Seine Frau kommt nach. Bekanntschaft mit Durruti. Einstein wird Mitglied der CNT und Milizionär der Grupo Internacional der Kolonne Durruti. Diese befindet sich seit 23.7. im Einsatz an der Aragon-Front. Einsteins Frau Lyda wird ebenfalls CNT-Mitglied, arbeitet in der Gegend von Bonanova (Katalonien) und nahe Barcelona als Krankenschwester. Einstein wird zum "técnico de guerra" (militärisch-technischer Leiter) innerhalb der Kolonne Durruti gewählt. Ist für spezifischen Frontabschnitt bei Osera als Chef des Befestigungswesens verantwortlich (Kröger, CEK 1986, S. 264ff.). Öffentliches Plädoyer Einsteins gegen die Umwandlung der Milizen in eine hierarchisch gegliederte klassische Armee.

November: Nach dem Tod Buenaventura Durrutis am 21. November hält Carl Einstein Nachruf über Radiosender der CNT-FAI. Veröffentlicht unter dem Titel "Die Kolonne Durruti" in: Buenaventura Durruti. Hrsg. von Helmut Rüdiger im Deutschen Informationsdienst der CNT-FAI, Barcelona 1936, S. 13-17. In verkürzter Fassung auch in: Neue Weltbühne, Jg. 32 (1936), Nr. 50 (10. Dezember). Dezember: Mit der Kolonne Durruti längere Zeit in Pina de Ebro. Zuvor Eroberung von Bujaraloz und Siétamo. Carl Einstein ist im Hauptquartier der Kolonne tätig, wohnt in Pina de Ebro. Danach Kämpfe der Grupo Internacional in Osera, Barbastro, Gelsa. Lyda Einstein wohnt unterdessen wieder bei Helmut und Dora Rüdiger.

Enge Freundschaft der beiden Einsteins zu Rudolf ("Michel") Michaelis, dem politischen Kommissar der Grupo Internacional, ebenso zu Rudolf Berner, schwedischer Journalist. Lektüre im Frühjahr: Céline (Rezension von Tod auf Kredit am 29.5. in Prager Presse.)

1937

Januar: Wiederabdruck von Die Kolonne Durruti in: Die Soziale Revolution, Nr. 3, S. 3f. 10. Januar: Kolonne Durruti umgewandelt in División Durruti. Einstein war nun als Mitglied der Grupo Internacional Teil der 1. Kompanie ("Internacional") des 4. Bataillons des 3. Infanterie-Regiments der División Durruti mit Sitz in Pina de Ebro. Die Grupo Internacional zählt im Januar 104 Mitglieder, darunter 46 Deutsche (stärkster nationaler Anteil).

Februar/März: Veröffentlichung(en) in Cultura y porvenir (Wochenblatt der anarchosyndikalistischen "Juventudes Libertarias" aus Seu de Urgel). (Brief Helmut Rüdigers, in:Kröger, CEK 1986, S. 265). 9. März: Carl Einstein erhält Kurzurlaub für "propagandistische Zwecke". 25. März: Lyda Einstein erhält Ausweis als Miliciana der División Durruti, 1. Kompanie ("Internacional") in Pina de Ebro.

April: Konflikte in Grupo Internacional um den militärischen Kommandanten der División, José Manzana. Carl Einstein wird das militärische Kommando über die División Durruti am gesamten Frontverlauf angeboten, lehnt ab. Einstein legt Denkschrift über die gesamte Front vor, die von allen positiv ("kritisch und sachlich") beurteilt wird (Brief von Helmut Rüdiger an Rudolf Michel Michaelis vom 2.4.1937, IISG). Hinweise auf immer stärkere Desillusionierung Einstein über die CNT-FAI-Politik. 2. April: Vortrag Einsteins auf Französisch über die Front von Aragon.

Verluste und Rückzug der Grupo Internacional aus den "Montes de Vacas" vor Villafranca. 12. April: Grupo Internacional begibt sich nach Tardienta. Schwere Kämpfe der Grupo Internacional in Tardienta. Erholungsurlaubstage in Barcelona. Einstein verkehrt im Lokal Calle Mediodía Nr. 16 und im Milizrestaurant "Münchner Stübl" am Plaça de Universidad.

Anfang Mai: Neue Umwandlung der Division Durruti in 26. Division des "Ejército del Este" (östliche Volksarmee) mit insgesamt drei Brigaden (119., 120. und 121. gemischte Brigade). Einsatzort: Játiva (Valencia).

1. Mai: Veröffentlichung von Einsteins Vortrag Die Front von Aragon in: Die Soziale Revolution Nr. 12 (Sondernummer) als Stellungnahme gegen die Abschaffung des Milizenprinzips und Einführung einer klassischen Armee.

Blutige Maitage in Barcelona. Kämpfe zwischen Kommunisten und Anarchisten. Dabei kommt Einsteins Freund Alfredo Martínez, Sekretär der Juventudes Libertarias Kataloniens, ums Leben. Fast alle DAS-Leute (Deutsche Anarcho-Syndikalisten) aus der Grupo Internacional werden nach den Maitagen von Kommunisten verhaftet und z.T. monatelang inhaftiert. Die Grupo Internacional hört dadurch auf zu existieren.

Einsteins interne Kritik an der CNT-Politik löst unter deutschen Anarchosyndikalisten in Barcelona Irritationen aus; Einsteins Verhalten ist Thema in verschiedenen Korrespondenzen (Kröger, CEK 1986, S. 268).

Anfang Juli: Begegnung mit Nico Rost in Barcelona, der zum Internationalen Schriftstellerkongress in Valencia und Madrid angereist war (Penkert). Keine Teilnahme Carl Einsteins daran nachweisbar. 14. August: Erhält vom IAA-Sekretariat Vorschusshonorar von 487,50 Ptas. für Broschüre über spanischen Anarchosyndikalismus und den Krieg. Abgabefrist: 3 Wochen später. (Kröger 1992, S. 81). Emma Goldman kennen gelernt.

1938

Ernsthafte Differenzen mit Helmut Rüdiger, dem Nationalkomitee der CNT (Generalsekretär: Mariano Vazquez) und einigen Mitgliedern der deutschen anarchosyndikalistischen Sektion in Barcelona. Gründe: Einerseits wird ihm seine Kritik an CNT-FAI-Politik übelgenommen. Andererseits hat Einstein Abgabetermin für Broschüre nicht eingehalten. Die IAA wartet dringend auf die Broschüre. Der Verzug ist Thema zahlreicher Korrespondenzen. Einstein wird von etlichen CNT-Delegierten und deutschen anarchosyndikalistischen Freiwilligen seitdem als notorischer Schwindler und Betrüger betrachtet und zwecks Rückzahlung des Vorschusshonorars gesucht. Helmut Rüdiger nennt als Einsteins Adresse die seiner Frau, Hospital Salmeron. Hat selbst keinen Kontakt mehr zu Einstein (Kröger 1992, S. 82 und 89). Auch Freundschaft mit Rudolf Michaelis zerbricht daran. Freundschaft zu Rudolf Berner bleibt bestehen.

6. Mai: Interview von Sebastià Gasch (katalanischer Kunstkritiker) mit Carl Einstein in Zeitschrift Meridià (Setmanari de literatura, art i política. Tribuna del Front intellectual Antifeixista, Barcelona) unter der Überschrift: "Einige sensationelle Erklärungen von Carl Einstein", mit Foto. (BA 3) Darin erwähnte Kontaktperson Einsteins: Joan Prats, Galerist in Barcelona. Carl Einstein benennt als geplante Projekte eine "Soziologie der Kunst oder Fiktion und Realität" und eine "Geschichte der Leerstellen in der Kunstgeschichte" (als Essay für "Nouvelle Revue Française"). Kuriert in Barcelona Verwundung aus. Das Foto zeigt Einstein in regulärer Uniform der spanischen Volksarmee. 24. Mai: Interview mit Carl Einstein in La Vanguardia, Überschrift:"Carl Einstein erläutert den Mehrfrontenkrieg und die Kriegspläne des Nazifaschismus". Erwähnt wegen des Spanienkriegs aufgegebene Pariser Arbeitspläne an "Soziologie der Kunst", "Geschichte der Lücken in der Kunstgeschichte" und Essay über "Das Problem des sozialen Konformismus" sowie realisierte Veröffentlichungen über "Geschichte des Bürgerkriegs in Russland" und "Struktur der faschistischen Militärpläne" in Spanien. Der Verlag Editorial Labor in Barcelona plante spanische Edition der "Kunst des 20. Jahrhunderts", Einstein steht in Kontakt zu dem Verlag. In Verletzungspausen Arbeit Einsteins an einem Filmdrehbuch ("La paz que mata" = Der tötende Frieden). Verfolgt das Ziel eines "Collective de Recherche Professionelle" im Sinne einer undogmatischen, überparteilichen, interdisziplinären intellektuellen Offensive. Unterstützt politisch das 13-Punkte-Programm Juan Negríns.

30. Juni: In Brief von Egon Illfeld an Helmut Rüdiger wird die Weiterleitung des "Falls Einstein" (Rückerstattung der Honorarvorschusses wegen nichtgelieferter Broschüre) an die Abteilung Sozialpolitische Propaganda der CNT mitgeteilt. Einsteins Adresse nun bekannt. Ab Sommer: Briefe Carl Einsteins an Daniel-Henry Kahnweiler aus Barcelona (Calle Verdi 182). Verletzungspause und Magenkrankheit. Wiederholte Erwähnung seiner Filmarbeit. Erwähnt Beteiligung an den Kämpfen an der Aragon-Front, in Guadalajara, Madrid, Belchite und der Schlacht am Ebro. Erhält Nahrungsmittelpakete von Kahnweiler und Reber. Erbittet und erhält Pakete von Picasso, Braque, Paul Rosenberg, Josette Gris etc. Dezember: Einstein in Valencia.

Kontakte zu Hubertus Prinz zu Löwenstein, zu Jaume Miravitlles, Parteimitglied der "Esquerra Republicana" und Regierungsmitglied der katalanischen Generalitat (Brief an American Guild for German Cultural Freedom) sowie zu Jean Paulhan ("Nouvelle Revue Française"). Lektüre (real oder erwünscht): Hölderlin, Spinoza ("Ethik"), Hardy, Valéry, Novalis, Louis Duc de Broglie, Tschuang-tse, Heraklit, Mallarmé, Laotse. Positive Bezugnahme auf militär- und kriegserprobte Autoren Cervantes, Defoe und Descartes.

1939

6. Januar: Brief an Pablo Picasso aus Barcelona. Einstein, schwerkrank, ersucht bei dem Barceloneser Arzt Dr. Trias Pujol vergeblich um Operationstermin. Flieht nach Niederlage der Republik mit dem geschlagenen spanischen republikanischen Heer über die Grenze nach Frankreich. Internierung als Spanienkämpfer in Argelès. Dann Freilassung.

Mitte Februar im Auftrag von Helmut Klose und weiteren inhaftierten Spanienkämpfern nach Paris entsandt. (Brief von Rudolf Michaelis an Helmut Klose, Paris, 25.5.1939) Ankunft in Paris am 15. Februar. Kommt erst bei seiner Tochter unter, dann beim Ehepaar Leiris, wohnt später mit Lyda in bescheidenen Hotels. Regelmäßige Begegnungen mit Daniel-Henry Kahnweiler. (Erinnerungsbericht von Daniel-Henry Kahnweiler, in: Pfemfert, S. 164f.)

16. Februar: In Match erscheint Foto von Carl Einstein in Militäruniform auf der Terrasse eines Cafés in Perpignan, zusammen mit Reportage über die Kriegsflüchtlinge aus Spanien. Carl Einstein berichtet bei zufälligem Zusammentreffen mit Ex-Spanienkämpfer Willi Marckwald in Paris von seinem Interview mit einem Journalisten in einem Hotel in Perpignan.

Sein Pass ist ungültig. Daran scheitern Versuche von Hein und Ada Heckroth aus dem Exil in Großbritannien, ihn dort hinzuholen.

Frankreich 1939-1940

1939

Fin de la guerre d'Espagne. Einstein et sa femme Lyda regagnent la France par Port Bou, fin janvier, avec les derniers volontaires étrangers, mais sont séparés par suite d'une intervention aérienne italienne. Einstein est interné dans le camp d'Argelès, mais peut rapidement regagner Paris où Kahnweiler le revoit le 15 février. Le 16 février paraît dans Match la photo très connue d'Einstein en officier, à la terrasse d'un café de Perpignan, illustrant un reportage sur les réfugiés de la guerre d'Espagne. Kahnweiler et les Leiris viennent en aide à Einstein et à sa femme qui sont sans moyens. Einstein se remet à écrire.

1940

Carl Einstein est interné dans un camp près de Bordeaux (vraisemblablement celui de Bassens)

Einstein est arrêté en application des mesures prises par le Gouvernement français concernant les Allemands vivant en France. Carl Einstein est interné dans un camp près de Bordeaux (vraisemblablement celui de Bassens). Libéré en raison de son âge vraisemblablement, mais déprimé, il fait une tentative de suicide près de Mont de Marsan, fin juin. Secouru et mis en sécurité chez les moines de l'abbaye de Lestelle-Bétharram, mais, ses espérances ruinées, se sachant toujours sur les listes noires des Nazis et privé, du fait de son engagement en Espagne, d'une possibilité de fuite par les Pyrénées, il se jette dans le Gave de Pau. Son corps est retrouvé le 7 juillet sur la commune de Boeil-Bézing (Pyrénées Atlantiques) où il est enterré et où, depuis décembre 2000, une rue du village porte son nom, à l'instigation de la Municipalité et de l'Association "Carl Einstein combattant de la liberté". Kahnweiler et Leiris avaient fait placer une stèle et rédigé ensemble le texte qui y figure: "A la mémoire de Carl Einstein/ Poète et Historien d'Art/ Combattant de la Liberté/ Né le 26 avril 1885 à Neuwied Allemagne/ Il se donna la mort le 5 juillet 1940/ Pour échapper/ à la persécution nazie."

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